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Anglizismen - Tod oder Beleben der deutschen Sprache?

·1544 Wörter·8 min
Politik Politik Sprache Essay Anglizismen
Mark Orlando Zeller
Autor
Mark Orlando Zeller
Softwareentwickler und Videospielenthusiast
Inhaltsverzeichnis
Diesen Artikel habe ich in der Schule geschrieben. Ich habe ihn hier veröffentlicht, da ich denke, dass er auch für andere interessant sein könnte.
Man kennt es: Auf einem Trip im Inter-City-Express zum Headquarter updatet sich die Inbox deiner E-Mail. Es ist der Chief Finance Officer, der ein neues Meeting in deine Agenda setzt. Du bist busy, weil in deiner Taskforce alles broke ist und du das Ganze fixen darfst.

Im Alltag, in Konzernen und Institutionen finden sich vermehrt Anglizismen wieder. Anglizismen sind diese Begriffe, welche aus dem Englischen ins Deutsche übernommen wurden und heute noch werden. Es ist deutlich zu er-kennen, dass sich mit steigender Globalisierung und einer täglich besser vernetzten Welt die Sprachen der Welt vermehrt mischen. So ist im Englischen „Kindergarten“ mit „kindergarten“ zu übersetzen und wir Deutschen sagen zu „Hausmeister“ jetzt „Facility Manager“. Anglizismen sind bereits Teil unseres Alltags. Aber was bedeutet das jetzt für uns? Wird dadurch Deutsch durch Englisch ersetzt? Oder ist alles halb so wild?

Anglizismen werden nicht nur in Deutschland, sondern weltweit kontrovers diskutiert. Und ja, es gibt auch berechtigte Kritik. Die Zahl der Anglizismen steigt rasanter als je zuvor und gerade technisch oder sprachlich weniger Versierte haben Probleme, diese zu verstehen. Der Begriff „Essay“ verdeutlicht das. Frage ich meine Großeltern etwas zu „Essays“, verstehen diese „Essen“ und geben mir einen Hackbraten. Frage ich meine Eltern, schaffen sie es noch online zu übersetzen „Essay: Aufsatz“ und erklären mir, was ein Aufsatz ist. Nutze ich mein Wissen und recherchiere zu „Essay“, erhalte ich alles – nur nicht ähnliche Informationen wie die Auskünfte meiner Lehrkraft. Manche Essays erfordern eine wissenschaftliche Schreibweise, andere eine freie und eher Kreative Schreibform. Jetzt bin ich genau so weit wie am Anfang und muss darauf hoffen, dass das, was ich schreibe, auch die Erwartungen erfüllt. Also der Anglizismus „Essay“ trägt keine Früchte. Der entscheidende Nach-teil einer so schnell steigenden Zahl an Anglizismen ist schlicht und ergreifend, dass das Maß an Verständlichkeit bei älteren Menschen sinkt. So sprechen die Großeltern weitestgehend im ortsüblichen Dialekt, die Eltern vermehrt Hochdeutsch und die Kinder üben sich an ihren Anglizismen. Der Kabarettist Christoph Sieber verliest in seinem Bühnenprogramm „Alles ist nie genug!“ einen Werbebrief der „Vodafone News“:

„Sie müssen lediglich die Get-Connector-CD installen und schon sind die mit dem Datenturbo HSCSD bereit zur Vodafone Connectivity Lösung mit dem PDA-Konfigurator zum Chat per Web-Handy […].“

Dieser Satz ist dicht gefüllt mit Anglizismen und hat eine eigentlich simple Bedeutung: „Durch Installieren der ‚Get-Connector-CD‘ lässt sich eine beschleunigte Datenübertragung erreichen und dem Konfigurator für digitale Assistenten ein Chat über das Handy erzielen“. Hier wurde eindeutig die Werbetrommel geschürt, um ein modernes Auftreten des Telekommunikationsdienstleisters gegenüber dem Kunden zu erreichen. Das Problem: Die Kunden verstehen‘s nicht. Hier ist es vielleicht von Vorteil, der jungen Generation Anglizismen einmal näher zu erklären. Bereits das Nachdenken über Anglizismus verleitet uns wieder vermehrt an die eigene Muttersprache zu denken.

Der Verein Deutsche Sprache (VDS) schlägt hier einen anderen Weg als Vodafone. Er veröffentlicht einen Anglizismen-Index. Hier sind Anglizismen ungewollt. Sie seien zu verbreitet, überflüssig und schaden der heimischen Sprache – ganz im Sinne der Wise Guys: „Oh Lord, please gib mir meine Language back“. Der Verein gibt an, 36.000 Mitglieder weltweit zu haben und gibt des Weiteren von sich, dass er zu jedem Anglizismus ein deutsches (und natürlich besseres) Äquivalent bereit habe, denn es gebe genug Wörter, um sich auch über Neues zu Unterhalten. Auf der Seite des Anglizismen-Index findet man außerdem die Möglichkeit, neue Anglizismen zu melden, denn Ziel sei es, neue Anglizismen, unabhängig ihrer Verbreitung frühestmöglich eine deutschsprachige Alternative bereitzustellen. Nice! Oder etwa doch nicht?

Wir müssen uns erst einmal im Klaren sein, wie Anglizismen sich im Deutschen verhalten. Ein Beispiel ist „der Computer“, ein Gerät, das nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist. Mittlerweile gilt der Begriff nicht mehr als Anglizismus, da er in die deutsche Sprache migriert wurde. Im Englischen heißt der Begriff „the computer“ und ist im Plural „the computers“. Es gibt kein Genus. Im Deutschen ist der Be-griff allerdings der Sprachgewohnheit perfekt angeglichen worden. Wir sagen „der Computer“ und „viele Computer“ und verwenden dafür die maskuline Form. Alle Eigenheiten der deutschen Sprache wurden auf das Wort übertragen und es hat Einzug in unseren Alltag gefunden. Dennoch stuft der VDS diesen Begriff als einen Begriff ein, der die deutsche Sprache verdrängt. Seine Empfehlung ist es, die-sen durch „Rechner“ zu ersetzen. Tja, unter „Rechner“ verstehe ich vielleicht „Tischrechner“, „Taschenrechner“ oder „hochgebildete Person, welche mehrstellige Zahlen im Kopf multiplizieren kann“. Für mich als Informatiker ist Rechner für einen Computer kein ersetzender Begriff, da ein Computer zwar rechnet, allerdings das Ganze auf ein anderes Level erhebt. Mir scheint es, dass der Verein ein wild zusammengewürfelter Haufen aus Hobby-Sprachwissenschaftlern ist, die mit der realen Sprachanwendung nichts zu tun haben. Na gut, über „Rechner“ als ersetzen-den Begriff für „Computer“ lasse ich aber noch mit mir streiten. Zumindest ist der Begriff ja noch halbwegs üblich. Abstruser werden andere Vorschläge des VDS. Zum Beispiel möchte er den englischen Begriff „airbag“ mit „Prallkissen“ ersetzen. Hier vergisst der Verein aber, dass der Begriff überhaupt nicht üblich ist und „Airbag, der“ auch im Online-Duden zu finden ist.

But wait! Sprache lebt doch von der Ausübung und Auslebung, oder?

Ja, den Wandel der Sprachen gab es immer und wird es immer geben. Die Ge-schichte zeigt, dass sich die Sprachen mit der Ausbreitung der Menschen weltweit beeinflussen. Andernfalls würden wir heute noch Urgermanisch sprechen. Machen wir jedoch nicht, da sich unsere Sprache über die letzten 2000 Jahre erheblich verändert hat. Vor allem der Lateinanteil ist gesunken. Deswegen ist Latein heute nur noch die Sprache der Wissenschaften und nicht mehr alltagstauglich. Da sie nicht mehr aktiv von vielen Menschen zur Kommunikation genutzt wird, fehlen heute Be-griffe für Technologien und Alltagssituationen, welche in modernen Sprachen fest verankert wurden. Es ist demnach keine Lösung Maßnahmen zur Erhaltung der Deutschen Sprache einzuleiten. Gesetzliche Kampanien zur Erhaltung der Landessprache lagen bereits in den Parlamenten von Frankreich und Finnland vor. Diese sahen vor, in Medien mehr einheimische Inhalte auszustrahlen sowie der Bevölkerung das Verständnis der Sprache näherzubringen. Solche Kampanien könnten tatsächlich das Verständnis und das Nachdenken über Anglizismen fördern, hätten allerdings einen massiven Einschnitt in die Unterhaltung der Bevölkerung zur Folge, was eventuell zu Wut in der Bevölkerung führen könnte. Die Entwürfe beider Länder sind daher widerrufen worden.

Und überlegen wir das mal genauer: Unsere Umgebung formt unseren Charakter, genauso unseren Sprachgebrauch. Es ist immer häufiger der Fall, dass wir Filme und Serien, trotz deutscher Verfügbarkeit, auf Englisch anschauen, von englischer Musik mal ganz abgesehen. Durch den erhöhten Kontakt zu fremdsprachigen In-halten beeinflusst uns das also auch im alltäglichen Sprachgebrauch. So fällt es uns nicht nur leichter, sondern wir fühlen uns beim Ausüben auch sicherer, da sich unser Umfeld (Filme, Serien und andere Medien) dem ebenfalls anzunehmen scheint. Ein „Nice!“ zur Bewertung von etwas Schönem, oder ein „Shit!“ ersetzt vermehrt ein „Scheiße!“ zur Beurteilung einer Situation. So nehmen Anglizismen auch in Zukunft weiter ihren Lauf, und das ist auch gut so! Es gibt keinen driftigen Grund, die Sprache in ihrem Wandel dahingehend einzuschränken. Sprache ist und bleibt dynamisch.

Vielmehr sind einige Anglizismen meist so perfekt von der Gesellschaft in das Deutsche Sprachgefüge eingearbeitet worden, dass diese genauso auch ohne anderssprachiges Vorbild sich aus der deutschen Sprache hätten entwickeln können. Das Wort „spoilern“ (Platz 3, Anglizismus des Jahres, 2015), lässt sich durchkonjugieren und hat Vergangenheits- und Zukunftsformen.

So zeigt sich, dass Anglizismen Teil des sprachlichen Wandels sind. Und genau das zeigt, dass sich unsere Sprache in besserer Verfassung befindet. Menschen, die mit ihrer Sprache agieren und diese einer neuen beziehungsweise veränderten Umgebung anpassen, zeigen, dass die Sprache fit für eine Zukunft weiteren Bestehens machen, entgegen der Erwartungen des VDS‘, dass ein Zuwachs von Anglizismen das Ende unserer Sprache bedeutet. Wir müssen fähig bleiben, weiterhin mit Menschen zu kommunizieren, welche sich dem Wandel der Sprachen nicht im gleichen Tempo anpassen können wie die jüngere Generation. Das wird allerdings nicht mit Kampanien erreicht, welche Unzufriedenheit und gesellschaftliche Ablehnung verbreiten. Generell bin ich davon überzeugt, dass die deutsche Sprache einen solchen beschleunigten Wandel gut übersteht. Sie zeichnet sich durch eine starke Reglementierung und doch erhebliche Flexibilität aus. Neue Wörter gestalten ihr kein Problem und sie wird somit auch weiterhin bestehen.

Quellen
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  1. Jonas Geldschläger. Anglizismus | Bedeutung, Arten, Beispiele (Liste). Wortwuchs. [Online] [Zitat vom: 29.. März 2020.] https://wortwuchs.net/anglizismus/.
  2. von Taube, Annika. Sprachwandel: Anglizismen hätten einen Preis verdient | ZEIT ONLINE. Zeit Online. [Online] ZEIT ONLINE GmbH, 18. November 2014. [Zitat vom: 27. März 2020.] https://www.zeit.de/community/2014-11/anglizismus-digitalisierung.
  3. POKORNY, CLEMENS. Anglizismen – Kolonialisierung der deutschen Sprache? UNI.DE. [Online] UNI.DE GmbH, 01. Juli 2016. [Zitat vom: 27. März 2020.] https://uni.de/redaktion/anglizismen.
  4. Wise Guys. Denglisch. Radio. [CD] s.l. : Pavement Records, 2006. 4012122601405.
  5. Eisenberg, Peter. Was ist ein Anglizismus? | MERTON Magazin. MERTON Magazin. [Online] Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., 01. Februar 2017. [Zitat vom: 2020. März 2020.] https://merton-magazin.de/was-ist-ein-anglizismus.
  6. Siebert, Christoph. Christoph Siebert ,,Alles ist nie genug" - YouTube. YouTube. [Online] 28. Dezember 2013. [Zitat vom: 27. März 2020.] https://www.youtube.com/watch?v=xrHI-GllH1o.
  7. Nier, Hedda. Statista. • Infografik: Die Anglizismen des Jahres | Statista. [Online] Statista GmbH, 31. Januar 2018. [Zitat vom: 31. März 2017.] https://de.statista.com/infografik/12751/anglizismen-des-jahres/.
  8. Elfers, Achim. Über den Index - Verein Deutsche Sprache e. V. Verein Deutsche Sprache e. V. [Online] Verein Deutsche Sprache e. V. [Zitat vom: 29. März 2020.] https://vds-ev.de/denglisch-und-anglizismen/anglizismenindex/ueber-den-index/.

Bildquellen
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Hintergrundbild: Thought Catalog on Unsplash